
Meine Kinder sagten letztens zu mir, dass viele Worte komisch klingen, wenn man länger über sie nachdenkt. Ich musste schmunzeln, als sie das sagten, denn früher ging es mir auch so. Ich weiß noch, dass ich viel darüber nachdachte, warum Dinge so heißen wie sie heißen.
Jetzt gerade geht mir das so mit dem Wort "Geduld". Es klingt wirklich merkwürdig wenn man es öfter und ganz langsam ausspricht. Für mich hat es auch etwas verzwacktes. Wir Menschen müssen uns ja oft in Geduld üben (warum können wir das eigentlich nicht?). Gerade jetzt stelle ich das so oft fest. Wie lange müssen wir nun schon geduldig sein in dieser Pandemie bis wir wieder unsere Familie und Freund umarmen können, ja geschweige denn treffen können? Wie lange müssen wir warten bis es einen Impfstoff ist. Aber nicht nur das. In allen Bereichen stoßen wir auf das Thema Geduld. Mein Sohn hat keine Geduld zuzuhören, springt zu eigenen Schlussfolgerungen und macht einfach (auch wenn es Lehrer wie auch mich zur Weißglut bringt), meine Tochter kann es gar nicht abwarten, bis Weihnachten ist und ich stehe vor der Herausforderung, mit Geduld darauf zu warten, bis mein Buchmanuskript endlich veröffentlicht wird. Und das ist wahrlich nicht einfach. Genauso wenig wie die Geduld zu haben bis der Hund stubenrein ist oder die Kinder lernen, selbst zu lernen. Ok, ob das jemals passieren wird? Ich weiß es nicht.
Aktuell arbeite ich mit einigen Menschen zusammen, die sich in ihrem Leben neu orientieren wollen, die etwas in ihrem Leben verändern möchten. Sie alle verspüren eine gewisse Ungeduld. Sie wollen vorwärts kommen, ihr Ziel erreichen und es kann ihnen alles nicht schnell genug gehen. "Ruhig Brauner" will dann immer eine Stimme in mir sagen. Und bei anderen verspüre ich eine Passivität. Obwohl sie etwas verändern wollen, treten sie auf der Stelle und suchen die Ursache ihrer Stagnation woanders. Wenn ich ehrlich bin, finde ich beides anstrengend. Menschen ohne Antrieb und Menschen mit zu viel Antrieb. Dabei wird mir klar, dass die Ungeduld auch ein Motor sein kann und die Geduld, die notwendige Ruhe, die Lage erstmal zu betrachten.
Ohne Motor kämen wir kein Stück vorwärts. Aber mit Bleifuss auf dem Gaspedal landen wir im nächsten Graben oder an der übernächsten Hauswand. Keine schöne Aussicht.
Also bleibt die Frage, wie man erkennt, wann was hilfreich und passend ist. Wir Menschen brauchen in der Regel viele Jahre bis wir lernen, Situationen aus Erfahrung richtig einzuschätzen. Da wir uns selbst zuweilen diese Zeit gar nicht geben, kommt es schon vor, dass wir Fehlentscheidungen treffen und später sagen müssen "Ich hab's doch gewusst!"
Also wie kann man das vermeiden?
Kürzlich begleitete ich einen meinen Klienten durch eine Veränderung. In diesem Zusammenhang sagte er eines Tages: "Ich denke bevorzugt lieber eine Stunde länger nach als später umkoordiniert Brände löschen zu müssen." Dieser Satz hat es mir angetan, denn er beschreibt so treffend, was passiert, wenn wir zu schnell vorpreschen, Rückschlüsse ziehen, und in Aktionismus verfallen. Gleichzeitig spricht er von einer Stunde, also keine unendliche Zeitperiode, in der man viel verlieren kann, wenn man gar nichts macht. Und doch ist es eine ganze Stunde. Eine ganze Stunde für ein Thema, eine Situation, eine Veränderung, eine Stunde für eine Entscheidung.
Was wäre, wenn wir uns gerade jetzt und insbesondere in schwierigen Situationen im Allgemeinen diese eine Stunde nehmen und abwägen, ehrlich abwägen, wohin uns der nächste Schritt bringen soll und was es dafür braucht, um das zu erreichen? Was wäre, wenn wir so einen Streit verhindern könnten? Was wäre, wenn wir so eine Hürde überwinden könnten? Was wäre, wenn wir so besser verstehen würden? Was, wenn wir so bessere Entscheidungen treffen könnten? Welches Potenzial steckte dann in dem Wort "Geduld"?